Es gibt eine deutliche Überzahl an Werkfotos in meinen Quellenangaben. Das hat einen einfachen Grund:
Bei Werkfotos ist das Aufnahmejahr sehr sicher bestimmbar und man kann den Autoren ein Stück weit trauen. Notfalls kann man auf die Beschaffungszeiträume zurückgreifen.
Manche Druckwerke sind leider, dank stark retuschierter Fotos, als Quelle nahezu unbrauchbar.
Bei Betriebsaufnahmen und Ansichtskarten ist das Aufnahmejahr oft frei erfunden oder viel zu schwammig formuliert.
Um 1900
mit einer XIV HT macht keinen Sinn. Wenn man sich der Situation bewusst ist, kann man solche Quellen aber auch nutzen.
Die folgenden Gedanken sind allgemeiner Natur und nicht auf Sachsen oder eine bestimmte Bahnverwaltung beschränkt.
Ziel der Analyse von Schwarzweißfotos sind Anschriftenformen (ohne direkten Farbenbezug) und das Erkennen verschiedener, nebeneinanderliegender Farben anhand der Bildkontraste.
Weitere Informationen lassen sich aus ihnen leider nicht ableiten.
Anstriche im Verlaufe des Lebens
Ein Schienenfahrzeug trägt im Allgemeinen eine Reihe verschiedener Anstriche im Laufe seiner Existenz. Bevor man weitreichende Schlüsse zieht, muß man den abgebildeten Anstrich auf seinen Fotos identifizieren.
Fotoanstrich
Schwächen des verfügbaren Filmmaterials führten schon in den 1860er Jahren zu Spezialanstrichen mit besonders hellen Farben und hervorgehobenem Kontrast. Da solche Anstriche Privatsache des Herstellers waren, hatten diese bei der Auswahl werbewirksamer Verschnörkelungen eine freie Hand. Der Anstrich kann dem späteren Lieferanstrich der Bahnverwaltung widersprechen. Jede Lokomotivfabrik entwickelte im Laufe der Jahrzehnte einen eigenen Stil. Bei einzelnen Fabriken haben Lackierungsschemata des Hauptkunden den Fotoanstrich beeinflusst. Die Sächsische Maschinenfabrik Chemnitz hat dann sogar Loks für ostasiatische Bahnen mit der Zierlinienanordnung der K.Sächs.Sts.E.B. versehen.
Bei Lokomotiven sind Fotoanstriche oft gut in Form von Postkarten und Firmenkatalogen dokumentiert. Bei Wagen sind solche Anstriche recht selten, der Aufwand lohnte sich wohl nicht.
Lieferanstrich
Vor der Ablieferung an den Kunden musste der bestellte Anstrich aufgetragen werden. Eine Rücksichtname auf werbewirksame, kontrastreiche Fotos war dabei nicht mehr möglich. Die Lackierung war damals ein sehr aufwendiger Vorgang, der bis zu zwei Wochen in Anspruch nehmen konnte. Bei Wagen wurde der Lieferzustand (manchmal auch noch ohne Anschriften) oft auf Werkfotos festgehalten. Bei Lokomotiven ist er seltener dokumentiert.
Anlässe für entsprechende Fotos waren:
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Fabrikjubiläen
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Abnahmefahrten bzw. Übergaben an den Besteller
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Betriebsfotos (zufällig) kurz nach der Lieferung
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Sonderausstellungen wie in Seddin 1924 (Da muß aber geklärt werden, ob ein normaler Betriebsanstrich oder ein spezieller Sonderanstrich angebracht wurde.)
Betriebsverwitterung
Der ursprüngliche, neue, glänzende Anstrich verwittert mit der Zeit, wird rauh und verliert feine Details. In diese Kategorie fällt auch das Ausbleichen der Farbe durch Sonneneinstrahlung und Farbveränderungen durch Putzmittel. Dieser Zustand wird von den allermeisten Betriebsfotos gezeigt.
Neuanstrich
Wenn der Anstrich zu verschlissen ist, wird er von einer (meist) bahneigenen Werkstätte erneuert. Dabei wird aber nicht unbedingt der Lieferzustand wieder hergestellt, sondern neue Vorschriften umgesetzt oder auch Vereinfachungen vorgenommen.
Retuschen
Eine grosse Falle sind retuschierte Bilder. Von Zierlinien über Wagenanschriften bis zu ganzen Zügen(!) wurde schon alles in Fotos hineingemalt. Einzelne Publikationen verlieren dadurch fast ihren Quellenwert. Die Beweggründe reichen von Verschönerung bis zum Ausgleich mangelnder Papierqualität.
Indizien sind:
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falsche Perspektive (oft bei lesbarer Schrift)
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plötzliches Deutlichwerden vorher kaum erkennbarer Linien, z.B. schwarze Fasen (abgeschrägte Längskanten der Holzbauteile) an Güterwagen
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Abweichungen einzelner Druckbuchstaben (vor allem bei Wagen)
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zu gute Detailierung um wahr zu sein - und auch hier im Gegensatz zu anderen Bildteilen
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Ungenauigkeiten am Linienende, d.h. zu kurze oder zu lange Striche
Jedenfalls hilft dagegen nur eine gesunde Skepsis und ein gesundes Vergrößerungsglas.
Bewertung der Fotografien
Hat man nun eine Helligkeitsabstufung gefunden, kann man daraus immernoch keine Farbaussagen treffen. Die oben genannte Verwitterung kann bei mehreren Bahnfahrzeugen ganz unterschiedliche Wirkungen hervorrufen. Deshalb sind Unterscheidungen, beispielsweise zwischen grünen und braunen Wagen in einem Zug, mit Vorsicht zu betrachten. Eine Entscheidung zwischen Farben mit sehr verschiedener Helligkeit (hellgrau oder schwarz?) ist bei einer genügend großen Fotoauswahl aber möglich.
Die grundlegende Farbaussage muß aus anderen Quellen wie zeitgenössischen Zeichnungen oder Schriftquellen kommen.
Die Frage nach einer genauen RAL-Festlegung erübrigt sich angesichts der vorgenannten Punkte von selbst.
Nachcolorierte Fotos
Nach Betrachtung vieler Ansichtskarten bin ich zu folgendem Schluß gekommen:
Je mehr Farben ein Retuscheur zur Verfügung hat, desto bunter wird das Ergebnis. Von einheitlich grauen Zügen, über im Wechsel grüne und braune Waggons, bis hin zu reiner Fantasiefarbgebung in gelb (Nein.. nicht mecklenburgisch) ist da alles möglich. Ich unterstelle dem Künstler keine Böswilligkeit, aber das Auseinanderhalten verschiedener Wagengattungen auf Schwarzweißfotos ist ein Hobby unserer Tage.
Etwas anders stellt sich die Sache bei Herstellerdokumenten dar, z.B. einem Katalog. Da gibt es tolle Beispiele wie preußische Akkutriebwagen und irreführende wie badische Loks in blau.
Als Quelle sind die allermeisten colorierten Fotos leider zu unsicher.